Sonntag, 15. April 2012

Grass, Ahmadinejad und Claus Kleber / Institut für Medienverantwortung

statt bei Jauch, hier die Einschätzung von Sabine Schiffer zur krassen Grass-Debatte in schriftlicher Form (die mit der Ostermarschrede zusammen gelesen werden sollte)
© Dr. Sabine Schiffer


Grass, Ahmadinejad und Claus Kleber
Ob es sich beim inkriminierten Prosa-Gedicht von Günter Grass um ein gelungenes Stück Literatur handelt oder nicht, der Nobelpreisträger hat mit seinem Text provoziert. Die Mehrheit d...er veröffentlichten Reaktionen bestätigt zudem seine Theorie von einem Tabu, denn natürlich kann man die israelische Politik kritisieren, wie es viele sagen und wir gerade wieder vorgeführt bekommen, aber wehe dem, der es wagt.

Die aktuelle Debatte ist aber gut geeignet, um die Tabuisierungstechniken zu studieren, die erfolgreich angewandt werden, um das Gesagte seiner pazifistischen Wirkung zu berauben: Das Aufspüren von Aspekten, die eine Parallelisierung mit historischen Antisemitismus und dem Nationalsozialismus ermöglichen, tun dabei ihre relativierenden Dienste. Da wird durch die Nähe zu Ostern und somit dem Pessahfest schnell mal unterstellt, dass der Autor in alter antisemitischer Tradition handelte, wo man tatsächlich zu Pessah Ritualmordvorwürfe gegenüber Juden zu hören bekam. Oder auch die begriffliche Analoge von „Weltjudentum“ und „Weltfrieden“ bietet sich für eine solche Gleichsetzung an. Mal abgesehen davon, dass es keinen Weltfrieden gibt und somit auch keinen brüchigen und es natürlich fraglich ist, inwiefern wir uns noch einen Weltkrieg vorstellen können, wird die Begriffswahl hier eben nicht unter literarische Freiheit, sondern unter Antisemitismus verbucht – als hätte Grass in alter Nazi-Manier behauptet, „die Juden“ würden „die gesamte Weltordnung“ bedrohen.

Hinlänglich bekannt ist die Strategie der ad-hominem-Attacke, also das Angreifen der Person, wenn man den inhaltlichen Argumenten nichts wirklich entgegen zu setzen hat. Dies wenden besonders Kaltblütige auch dann an, wenn sich die Person – wie Grass in seinem Text – bereits selbstkritisch geäußert hat, und soll helfen, von deren gewichtigen Positionen abzulenken. Durch den Verweis auf sein Alter, SS und Antisemitismus droht schließlich doch noch erfolgreich einzutreten, was angeblich nicht existiert: ein Kritiktabu. Hinter den Tabuisierungs- und Ablenkungsstrategien verbirgt sich aber auch noch etwas Unausgesprochenes, das eigentlich in den journalistischen Fragenkatalog der Interviewer gehört: Die Befürwortung von Krieg, die implizit in allen Angriffen auf Grass und seinen Text mitschwingt. Das ist der gewichtigere Tabubruch hier, nämlich die Aufkündigung des Konsenses nach 1945. Alle, die Grass beschuldigen, deutsche Geschichte mit diesem „Angriff auf Israel“ reparieren zu wollen, arbeiten der Relativierung dieses Fazits aus der deutschen Geschichte zu. Nur so ist zu erklären, warum man seine gleichwertige und vernünftige Forderung nach internationaler Kontrolle für Israel und den Iran unterschlägt und warum man nicht erkennen will, dass Grass jedwede Atombombe ablehnt.

Leider kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die vehementesten Kritiker von Grass einen Angriff auf den Iran als gerechtfertigt ansehen – die Aufkündigung von "Nie wieder Krieg!" sollte eine aufgeregte mediale Debatte nach sich ziehen. Diese klebt jedoch in Diskursritualen fest, die den Krieg als Mittel der Politik längst akzeptiert hat. Die üblichen Verdächtigen und diesmal noch einige andere mehr verlegen sich lieber darauf, anderen als sich selbst bellizistische Rhetorik zu unterstellen – etwa Ahmadinejad, den Claus Kleber zuletzt versuchte zu interviewen. Stattdessen interviewte Ahmadinejad den Reporter und stellte kritische Fragen, die Kleber stellvertretend für die hiesige Politik irgendwie alt aussehen ließen. Trotz aller Verlautbarungen und vorweggeschickten Interpretationen konnten sich viele, die das ganze Interview auf Youtube sahen, ein eigenes Bild vom Gesagten machen. Mal abgesehen von der geschnittenen Übersetzung gegen Ende des über 40-minütigen Gesprächs, fand sich doch viel Überlegenswertes in dem Text, etwa: Warum wird nur der Iran, nicht jedoch auch Israel in Bezug auf Atomwaffen kontrolliert? Man wird jedoch einem erklärten Orientalen und schon gar nicht diesem besonders „irrationalen Iraner“ zutrauen, dass er vernünftig über Politik nachdenkt und strategisch klug kalkuliert. Nur so lassen sich die aus seiner Sicht zu befreienden Palästinenser ignorieren, die ja bei einem Angriff auf Israel ebenfalls vernichtet würden – was er dann wirklich nicht mehr rational erklären könnte. Eher unwahrscheinlich also.

Nun gehört Ahmadinejad wirklich nicht auf eine Stufe mit Grass, aber einige inhaltliche Punkte seines ZDF-Interviews treffen tatsächlich genau den Kern der Debatte, die die aufgeregten Grass-Basher so tunlichst zu umgehen suchen. Eins bleibt als Botschaft am Ende stehen: Wer es wagt, die üblichen Diskursrituale zu durchbrechen, wird entsprechend abgestraft – so scheint der Begriff „auslöschen“ für Israel reserviert (wie gesagt, ohne, dass die Palästinenser dabei mitgedacht werden), auf den Iran oder seine Bürger darf das Verb auf keinen Fall angewandt werden.
Neben den bereits Genannten gehören zu den Diskurs- und damit Tabubrechnern die verächtlich gemachten Friedens-bewegten, die ebenfalls die Einhaltung gleicher Maßstäbe und die Einstellung von Waffenlieferungen in den Nahen Osten fordern. Spätestens an dieser Stelle sollte allen klar geworden sein, dass die angeblichen Israel-Verteidiger, die den hehren Kampf gegen den Antisemitismus vor sich her tragen wie eine Monstranz, Bellizisten sind – nichts als Kriegstreiber, die zur Bestätigung ihrer Vorurteile auch gerne mal das kleine Land opfern.

Donnerstag, 5. April 2012

Gedicht von Günter um Konflikt zwischen Israel und Iran Grass zu



Günter Grass warnt in der "Süddeutschen Zeitung" vor einem Krieg gegen Iran.
In seinem Gedicht mit dem Titel "Was gesagt werden
muss" fordert der Literaturnobelpreisträger deshalb, Israel dürfe keine
deutschen U-Boote mehr bekommen.
Was gesagt werden muss
Von Günter Grass
Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.
Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.
Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?
Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er mißachtet wird;
das Verdikt "Antisemitismus" ist geläufig.
Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muß.
Warum aber schwieg ich bislang?
Weil ich meinte, meine Herkunft,
die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
dem Land Israel, dem ich verbunden bin
und bleiben will, zuzumuten.
Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muß,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb  unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre.
Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,
weil ich der Heuchelei des Westens
überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,
es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
den Verursacher der erkennbaren Gefahr
zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
gleichfalls darauf bestehen,
daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle
des israelischen atomaren Potentials
und der iranischen Atomanlagen
durch eine internationale Instanz
von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.
Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,
mehr noch, allen Menschen, die in dieser
vom Wahn okkupierten Region
dicht bei dicht verfeindet leben
und letztlich auch uns zu helfen.

http://www.sueddeutsche.de/kultur/gedicht-zum-konflikt-zwischen-israel-und-iran-was-gesagt-werden-muss-